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Gerhard Murjahn „Unsichtbare Gesichter“

 

Fotografie-Ausstellung 07.04. – 03.05.2006

 

In der Reihe der Ausstellungen, die bislang in dieser Galerie organisiert wurden, nimmt diese Ausstellung einen besonderen Platz ein. Bei den präsentierten Bildern handelt es sich um wahrhaft authentische, durch nichts umgeformte Fotografien.

 

Gerhard Murjahn ist ein Künstler, der seine Bilder mit dem Fotoapparat malt, und seine Arbeiten, perfekt komponiert, weisen eine so vortreffliche Farbgebung auf, dass es geradezu unglaublich scheint, dass sie schlicht und einfach direkt in der Natur gefunden wurden. Murjahns Arbeiten zeigen das sogenannte „object trouvé“, den gefundenen Gegenstand, eine Tendenz, die dem weiten Feld der konzeptuellen Kunst zuzurechnen ist.

 

Aber noch etwas anderes verdient Aufmerksamkeit. In einer eigenen, ungewöhnlichen Weise tauchen in Murjahns Arbeiten Reminiszenzen an verschiedene, sehr bekannte Strömungen auf, welche die Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erschüttert hatten. Ich sehe geradezu hervorragende Beispiele für Tachismus, Minimal-Art verschiedener Tendenzen, bis hin zur heutigen Postmoderne. In einem der Bilder sehe ich Leger, in anderen das heute so aktuelle Recycling.

 

Sicherlich ist das alles nicht bewusst auskalkuliert; ich denke, wir haben es vielmehr mit einem reinen Beispiel zu tun für jene intuitive Reaktion, die im richtigen Augenblick das Objektiv des Apparats betätigt. Murjahn wandert durch die Welt und atmet die Kunst seines Lebens, seiner Zeit; seine Entscheidungen werden gelenkt und hervorgebracht durch Gedächtnisbilder von Ereignissen, wie er sie in einem realen Fragment der Natur auffindet. Auf seiner Wanderschaft durch die Welt sucht er nach Begegnungen mit den Zeichen seiner eigenen irrealen Welt.

 

Wir haben die Ausstellung „Unsichtbare Gesichter“ genannt. Ich denke, dieser Titel gibt die eigentliche Inspirationsquelle des Künstlers auf zu oberflächliche, anekdotische Weise wieder. Natürlich gibt es hier das Spiel mit der Phantasie, tatsächlich finden wir diese Gesichter und nehmen Teil an faszinierenden Begegnungen, zu denen uns der Künstler führt. Dieses Spiel hat jedoch, so meine ich, einen weitaus tieferen Grund, als wir erwarten konnten. Ich denke, es handelt sich  um eine im Inneren generierte Suche nach der kommenden Zeit.

 

Diese Gesichter, die auch wir alle grotesk, an den unerwartetsten Orten, um uns herum auffinden, das ist das Empfinden unserer Existenz in der kosmischen Raumzeit. Gleiches spürt Yoshio Hiroshige, wenn er seine Grafiken mit den aus dem Raum heraustretenden Gesichtern schafft. Künstler verzeichnen in ihrem Schaffen auf unterschiedliche Weise das Verstreichen der Zeit und ihre Furcht davor.

 

Gerhard Murjahn registriert in seinen Fotografien nicht die reale Wirklichkeit, er empfindet sie anders, seine Welt existiert in der Philosophie des Geistes. Ich weiß nicht, ob Sie eine solche Interpretation dieser Werke teilen, vielleicht ist es ja auch nur meine eigene Imagination. Jedoch eben genau so verläuft der Dialog zwischen dem Schöpfer eines Werks und dem Empfänger, den dieses Werk anrührt. Und eben dies ist die Bestimmung der Kunst, dieser außerordentliche, über die Sprache hinausweisende Kommunikationscode.

                                                   

Prof. Witold Skulicz*

 

 

 

*Witold Skulicz, ehem. Präsident der Grafik-Triennale Krakau
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